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Achteinhalb
Mi, 07/08/2013 - 11:33

Fellini wählte sich mit 8 ½ ein Thema, das seinen Intentionen aussergewöhnlich entgegenkam. Er erzählt eine Geschichte, die seine eigene sein könnte und ganz bestimmt ist sie es auch in vielen Details. Sein Filmregisseur Guido, der einen Film drehen möchte, ohne zu wissen wie, ihn am Ende doch nicht dreht und stattdessen in einen Zirkusreigen hinein gezogen wird - Fellinis Alter Ego. Träume, Kindheitserinnerungen, Visionen werden gepaart mit Seitenhieben gegen Journalisten und Produzenten. Die Zerwürfnissen mit seiner Ehefrau, seine Sehnsucht nach Claudia Cardinale, die Auseinandersetzung mit der Kirche und der Phantasie – alles zieht in einem barocken Wirbel an uns vorüber. Fellini scheint kaum Distanz zu haben zu dem, was er vorführt und offensichtlich weiss er eben so wenig wie Guido, was er will. Ist ihm die Intellektuellen Schelte wichtig oder soll doch alles harmonisch aufgelöst werden? Ist der Rundtanz am Ende nicht ein Ausweichen der zuvor gestellten Fragen? Auch Godards Le mepris (Die Verachtung) wählt den Film selbst zum Thema. Ein Drehbuchautor, beauftragt einige Szenen für eine Odyssee Verfilmung von Fritz Lang umzuschreiben, wird in die Villa des Produzenten eingeladen. Er hat entdeckt, dass seine Frau ihn verachtet und hofft, sie durch das Drehbuch zurück zu gewinnen. Godard bietet keine psychologische Analyse, sondern konfrontiert den Zuschauer mit der Tatsache, dass sein Drehbuchautor verachtet wird. Viel wichtiger sind die Gespräche über das Filmemachen mit Fritz Lang und dem „amerikanischen“ Produzenten. Besonders eigen sind die Filme von Chris Marker, die sich auf kein Genre festlegen lassen. Es sind eben so sehr Dokumentarfilme wie filmische Essays, Geschichtswerke und ideologische Studien. Der Dialog wird vielseitig und vollkommen neuartig verwendet, er steht im Kontrast zum Bild und fügt dem Film eine ganz eigene Dimension zu. Marker zwingt uns zur Distanz durch Stehbilder und verschiedene Zeitebenen im dokumentarischen Bericht. La jetee ist ein utopischer Fotoroman, nur aus statischen Bildern bestehend. Er spielt in irgendeiner Zukunft nach dem atomaren Weltkrieg und dem Untergang von Paris. Die Sieger unternehmen medizinische Experimente an den Überlebenden, die Versuchspersonen werden in einen Hypnoseschlaf gebracht und Marker zeigt die Vorgänge während einer solchen Hypnose. La jetee verschiebt alle Grenzen, was Film ist und darstellen kann in ein unbekanntes Territorium. L´annee derniere a Marienbad von Alain Resnais zeigt die Dialektik von Vergessen und Erinnern als abstraktes Gleichnis. Die Wirklichkeit wird in Fragmenten aufgelöst zu einer Art kubistischen Bild mit vielen Bezügen. Der Film zeigt die Bilder der Vergangenheit ungefähr so wie sie ins Bewusstsein gespült werden, immer bleibt offen, ob das Gezeigte wahr ist oder Wunschbild? Der Film ist eine Meditation darüber, wie schwierig es ist, objektiver Herr über einen Vorgang zu werden und weist immer wieder auf sich selbst zurück (vgl. Gregor/Patalas: Geschichte des modernen Films, Gütersloh 1965). Truffauts La nuit americaine verwischt munter die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit als grosse Liebeserklärung an das Kino. Er selbst spielt einen Regisseur, dessen Dreharbeiten durch menschliche Verwicklungen und den Liebeskummer seines Stars gefährdet werden. Auf den ersten Blick ein leichtgewichtiger Film, der sich beim zweiten Mal hinschauen als virtuose Stilübung entpuppt. Truffauts Selbstreflexion als Filmemacher gehört zusammen mit 8 ½ und Le mepris zu den drei grossen Filmen, in denen ein Regisseur nach innen blickt. Immer noch macht die Ernsthaftigkeit, mit der man davon ausging, ein Film sei doch wahnsinnig wichtig und gesellschaftlich relevant, grossen Spass. Immer noch unglaublich erscheint es, dass sich Weggefährten und Freunde wie Truffaut und Godard um die Ausrichtung ihrer Filme für immer zerstreiten. La nuit americaine wurde dadurch nur ein künstlerischer, nicht aber ein persönlicher Erfolg von Truffaut. - With 8 ½, Fellini chose a theme that met his intentions exceptionally well. He tells a story that could be his own and certainly it is in many details. His film director Guido, who wants to shoot a film without knowing how, but in the end he doesn't shoot it and instead gets dragged into a circus round - Fellini's alter ego. Dreams, childhood memories, visions are paired with side blows against journalists and producers. The quarrels with his wife, his longing for Claudia Cardinale, the confrontation with the church and the fantasy - everything passes us by in a baroque whirl. Fellini seems to have hardly any distance to what he is performing and obviously he knows as little as Guido what he wants. Is intellectual scolding important to him or should everything be dissolved harmoniously? Isn't the round dance at the end an evasion of the previously asked questions? Godard's Le mepris (Disdain) also chooses the film itself as its theme. A scriptwriter, commissioned to rewrite some scenes for an odyssey adaptation of Fritz Lang's film, is invited to the producer's villa. He has discovered that his wife despises him and hopes to win her back through the script. Godard does not offer psychological analysis, but confronts the viewer with the fact that his scriptwriter is despised. Much more important are the conversations about filmmaking with Fritz Lang and the "American" producer. Chris Marker's films are particularly peculiar, as they can't be fixed to any genre. They are just as much documentary films as cinematic essays, historical works and ideological studies. The dialogue is used in a versatile and completely new way, it stands in contrast to the image and adds a very special dimension to the film. Marker forces us to distance ourselves through still images and different time levels in the documentary report. La jetee is a utopian photo novel consisting only of static images. It takes place in some future after the nuclear world war and the downfall of Paris. The winners undertake medical experiments on the survivors, the test subjects are put into a hypnosis sleep and Marker shows the processes during such a hypnosis. La jetee shifts all boundaries of what film is and can represent into an unknown territory. L´annee derniere a Marienbad by Alain Resnais shows the dialectic of forgetting and remembering as an abstract parable. Reality is dissolved in fragments into a kind of cubist image with many references. The film shows the images of the past about the way they are washed into consciousness, always leaving open whether what is shown is true or what one wants? The film is a meditation on how difficult it is to become an objective master of a process and repeatedly points back to itself (cf. Gregor/Patalas: Geschichte des modernen Films, Gütersloh 1965). Truffauts La nuit americaine vividly blurs the boundaries between play and reality as a great declaration of love to cinema. He himself plays a director whose shooting is endangered by human entanglements and the lovesickness of his star. At first glance a lightweight film that turns out to be a virtuoso style exercise when you look at it a second time. Together with 8 ½ and Le mepris, Truffaut's self-reflection as a filmmaker is one of the three great films in which a director looks inside. The seriousness with which the assumption was made that a film is insanely important and socially relevant is still a lot of fun. It still seems unbelievable that companions and friends like Truffaut and Godard quarrel over the direction of their films forever. La nuit americaine became only an artistic, but not a personal success of Truffaut. 

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