Mo, 08/03/2021 - 11:07
Nach dem ersten Weltkrieg erlebte der deutsche Filme eine Blüte. Die Entwertung der Mark ermöglichte es, dass deutsche Filme im Ausland konkurrenzlos billig angeboten werden konnten, umgekehrt bekamen ausländische Produzenten einen Anreiz, nach Deutschland zu exportieren. Die Zeit war charakterisiert durch das Nebeneinander grosser Konzerne und kleiner Verleihfirmen. Der stärkste Verleiher war die 1917 gegründete UFA. Im Jahr 1922 wurden in Deutschland 74 Langfilme produziert; eine Zahl, die ansonsten nur Hollywood erreichte. In den folgenden Jahren normalisierte sich der Wert der D-Mark und die Filmkonzerne litten darunter, allen voran die UFA. Der Hugenburg Konzern beteiligte sich schliesslich an der UFA und führte sie geradewegs in den Nationalsozialismus. Es bestätigte sich, dass Krisenzeiten für die künstlerische Entfaltung mehr Möglichkeiten bieten als Zeiten der Konsolidierung. Bis etwa 1923 gestatteten die günstigen Produktionsverhältnisse sowie die Aufgeschlossenheit von Produzenten wie Erich Pommer künstlerische Experimente ohne grösseres Risiko. Nach der Stabilisierung der Mark herrschten mehr und mehr schauträchtige Repräsentationsfilme vor. Die künstlerisch ambitionierten Werke wurden in der zweiten Hälfte der 20er von kleinen Verleihern hergestellt. Während der Blütephase war es allgemein üblich, nach Deutschland zu blicken, um den wahren Gebrauch des filmischen Mediums zu begreifen (Paul Rotha). Bereits frühe Filme zeigen die Neigung zu Darstellung „innerseelischer“ Vorgänger, so Der Golem. Der Schauspieler Paul Wegener, Mitglied des Reinhard Ensembles wie Lubitsch oder Murnau, übertrug Märchenmotive der Romantik auf die Leinwand (Der Student von Prag, 1913). In vielen Filmen wurde Identitätsspaltung zum Thema, dass geradezu besessen behandelt wurde. Die „klassische“ Periode aber begann mit dem Auftreten eines Autors: Carl Mayer. Er verfasste die Drehbücher zu Das Cabinett des Doktor Caligari (1920), Genuine (1920), Hintertreppe (1921) sowie die Vorlagen zu Friedrich Wilhelm Murnaus Der letzte Mann (1924), Tartuffe (1925) oder Sunrise (1927). Die expressionistischen Drehbücher von Mayer waren bereits als präzise Regie Entwürfe verfasst. Er dachte in den Termini der Filmsprache und hatte nie etwas anderes als Drehbücher geschrieben. Die meisten Errungenschaften der Kamera gingen auf Mayer zurück. Nachdem er Panzerkreuzer Potiemkin gesehen hatte, sah Mayer in der russischen Montagetechnik die Zukunft, so ging die Idee von Berlin Symphonie einer Grossstadt ebenfalls auf ihn zurück. Das Cabinett des Doktor Caligari sollte zum nie erreichten Vorbild werden. Wegeners Wachsfigurenkabinett (1924) und Fritz Langs Dr. Mabuse, der Spieler sind die bekanntesten Versuche, doch die expressionistischen Formen degenerierten zum Ornament, die naturalistisch spielenden Schauspieler stempelten das Dekor zur Kulisse. Die Faszination des deutschen Films am Übermenschen aber dauerte auch nach Caligari fort. Die gelungensten Filme der Zeit gestalten Alpträume der Tyrannei und des Terrors. Soziale und politische Realitäten aber fasste keiner der Filme ins Auge, der Schrecken blieb immer innerlich. Mayer selbst leitete schliesslich die Abkehr vom Caligari Stil ein. Filme wie Hintertreppe, Scherben, Sylvester oder Der letzte Mann haben Kammerspielcharakter und sind Kleinbürger Dramen. Über die eng gezogenen Grenzen von Ort, Zeit und Handlung weist keinerlei Hoffnung. In der Nachfolge der Kammerspiele standen die „Strassenfilme“ wie Karl Grunes Die Strasse (1923). Die Strasse mit ihrer Leuchtreklame wurde zur negativen Utopie.
Der stilistische Kodex des Expressionismus erlaubte es auch weniger begabten Regisseuren, Filme zu drehen. Autoren im vollem Wortsinn waren nur Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau und Ernst Lubitsch. Murnaus Der letzte Mann gilt als Vollendung der deutschen Filmklassik, sein Nosferatu war weitaus einflussreicher als Caligari. Fritz Lang führte den Film über seine Vorbilder der Malerei und Literatur hinaus. Der müde Tod unterscheidet sich von Caligari dadurch, dass nicht grafische, sondern architektonische Strukturen dominieren. Dr. Mabuse, der Spieler gehört auch noch in das Caligari Umfeld, in Metropolis schliesslich erstarrte die Welt zum Ornament. Lang war fasziniert vom Chaos, zu dem er keine Alternative als die Diktatur sah. Murnau, Lang und die meisten Regisseure der 20er verschrieben sich im Verlaufe des Jahrzehnts dem Kommerz von „Grossfilmen“. Ernst Lubitsch nahm in Babelsberg eine Sonderstellung ein. Er schuf Ausstattungsfilme, Lustspiele und phantastische Filme. Sein Spott traf immer wieder die Herrschenden, der Tyrann als kleinbürgerlicher Hahnrei. Nachdem er Deutschland 1922 verliess fand Lubitsch keine Nachahmer und auch in Hollywood blieb er einzigartig. Repräsentativ für die zweite Hälfte der 20er wurde Georg Wilhelm Pabst. Mit Die freudlose Gasse (1925) begann seine Abkehr vom Expressionismus, obwohl auch in seinen letzten Stummfilmen wie Die Büchse der Pandora (1929) noch dunkle Gassen und geneigte Häuserwände zu sehen waren. An der Schwelle zum Tonfilm spezialisierte sich Pabst auf Bergfilme wie Die weisse Hölle von Piz Palü (1929). Die „Neue Sachlichkeit“ drückte sich vor allem in „Querschnittfilmen“ aus ohne emotionale Parteinahme. Ruttmanns Berlin, Symphonie einer Grossstadt (1927) ist der Prototyp. Ein thematisches Gegenstück stellte Menschen am Sonntag dar, ein „professioneller Amateurfilm“ von Billy Wilder, Robert Siodmark, Fred Zinnemann und Edgar Ulmer. Die wenigen Versuche von Sozialkritik fanden sich in Filmen wie Mutter Krausens Fahrt ins Glück oder Kuhle Wampe, doch nach und nach schwand jegliches künstlerische Verantwortungsbewusstsein, insbesondere in den Produktionen der UFA...
- After the First World War, German films experienced a boom. The devaluation of the mark made it possible for German films to be offered unrivaled cheaply abroad; conversely, foreign producers were given an incentive to export to Germany. The period was characterized by the coexistence of large corporations and small distributors. The strongest distributor was UFA, founded in 1917. In 1922, 74 feature-length films were produced in Germany; a number that was otherwise matched only by Hollywood. In the following years, the value of the Deutschmark normalized and the film companies suffered, especially UFA. The Hugenburg Group eventually took a stake in UFA and led it straight into National Socialism. It was confirmed that times of crisis offer more opportunities for artistic development than times of consolidation. Until about 1923, favorable production conditions and the open-mindedness of producers like Erich Pommer allowed artistic experimentation without great risk. After the stabilization of the Mark, more and more representative films that were worth watching prevailed. The artistically ambitious works were produced by small distributors in the second half of the 1920s. During the heyday, it was common to look to Germany to understand the true use of the cinematic medium (Paul Rotha). Even early films show a tendency to depict "inner-soul" predecessors, such as Der Golem. The actor Paul Wegener, a member of the Reinhard Ensemble like Lubitsch or Murnau, transferred fairy-tale motifs of Romanticism to the screen (Der Student von Prag, 1913). In many films, identity splitting became a theme that was treated almost obsessively. The "classic" period, however, began with the appearance of an author: Carl Mayer. He wrote the screenplays for Das Cabinett des Doktor Caligari (1920), Genuine (1920), Hintertreppe (1921) as well as the drafts for Friedrich Wilhelm Murnau's Der letzte Mann (1924), Tartuffe (1925) or Sunrise (1927). Mayer's expressionist screenplays were already written as precise directorial drafts. He thought in terms of film language and had never written anything but screenplays. Most of the achievements of the camera were due to Mayer. After seeing Battleship Potiemkin, Mayer saw the future in Russian montage techniques, so the idea of Berlin Symphony of a Big City also went back to him. The Cabinet of Doctor Caligari was to become a model never achieved. Wegener's Waxworks Cabinet (1924) and Fritz Lang's Dr. Mabuse, the Gambler are the best-known attempts, but the expressionist forms degenerated into ornamentation, and the naturalistic actors stamped the décor into scenery. The German film's fascination with the superman, however, continued even after Caligari. The most successful films of the time created nightmares of tyranny and terror. None of the films, however, focused on social and political realities; the horror always remained internal. Mayer himself finally initiated the departure from the Caligari style. Films like Hintertreppe, Scherben, Sylvester or Der letzte Mann have the character of chamber plays and are petit-bourgeois dramas. No hope points beyond the narrowly drawn boundaries of place, time and plot. The successor to the Kammerspiele were the "street films" such as Karl Grune's Die Strasse (1923). The street with its neon sign became a negative utopia. The stylistic code of Expressionism allowed even less talented directors to make films. Auteurs in the full sense of the word were only Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau and Ernst Lubitsch. Murnau's The Last Man is considered the consummation of German film classicism, and his Nosferatu was far more influential than Caligari. Fritz Lang took film beyond its models in painting and literature. Tired Death differs from Caligari in that architectural rather than graphic structures dominate. Dr. Mabuse, the gambler also still belongs in the Caligari environment; in Metropolis, after all, the world congealed into ornamentation. Lang was fascinated by chaos, to which he saw no alternative but dictatorship. Murnau, Lang, and most of the directors of the 1920s devoted themselves to the commercialism of "big-budget" films as the decade progressed. Ernst Lubitsch occupied a special position at Babelsberg. He created films with extras, comedy films, and fantastic films. His mockery always hit the rulers, the tyrant as petty bourgeois cuckold. After he left Germany in 1922, Lubitsch found no imitators, and even in Hollywood he remained unique. Georg Wilhelm Pabst became representative for the second half of the 20s. His departure from Expressionism began with Die freudlose Gasse (1925), although his last silent films, such as Die Büchse der Pandora (1929), still featured dark alleys and sloping house walls. On the threshold of talkies, Pabst specialized in mountain films such as The White Hell of Piz Palü (1929). The "Neue Sachlichkeit" expressed itself primarily in "cross-section films" without emotional partisanship. Ruttmann's Berlin, Symphony of a Big City (1927) is the prototype. A thematic counterpart was People on Sunday, a "professional amateur film" by Billy Wilder, Robert Siodmark, Fred Zinnemann and Edgar Ulmer. The few attempts at social criticism were found in films such as Mother Krausen's Ride to Happiness or Kuhle Wampe, but gradually any sense of artistic responsibility dwindled, especially in the productions of UFA...
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Kommentare
Eure letzten Kommentare
Mo, 29/03/2021 - 11:27
ich werde definitiv…
ich werde definitiv querschauen, ganz spannend, diese liste!
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Mo, 08/03/2021 - 12:07
Orlacs Hände (Robert Wiene)
Orlacs Hände (Robert Wiene)
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