Di, 07/12/2021 - 19:33
Directed by:
Nuri Bilge Ceylan
Schauspieler:
Melisa Sözen
Haluk Bilginer
Demet Akbag
Video:
Trailer
Nuri Blige Ceylan ist zweifellos ein Weltklasse-Regisseur, aber er steigert sich nicht von Film zu Film, so wie viele behaupten. Ich finde, dass er auch vor über zehn Jahren schon Weltklasse war! Winter Sleep dauert über drei Stunden und man mag etwas Über-Ambitioniertes erwarten - doch, Winter Sleep hats wirklich! Ceylans bisher schönstes und klarstes Werk! Oberflächlich betrachtet, folgt Winter Sleep den typischen europäischen Arthaus Vorbildern mit einem männlichen Protagonisten, der in verschiedenen Stadien der Isolation gezeigt wird. Aydin (Haluk Bilginer), ein ehemaliger Theater Direktor, leitet nun ein Hotel in Kappadokien, Anatolien mit seinen bizarren Felsformationen, die aus der kargen Landschaft heraus ragen. Das Hotel wirkt ebenfalls wie eine Höhle. Hier lebt der Patriarch mit seiner viel jüngeren Frau Nihal (Melisa Sözen) und seiner frisch geschiedenen Schwester Necla (Demet Akbag). Die unangenehmen Aufgaben überlässt er seinen Angestellten, während er sich als alternder Intellektueller im Hintergrund hält (obwohl er aber alles kontrolliert). Seine Zeit widmet er Kolumnen sowie einem Buch-Projekt über das türkische Theater. Aydin wirkt zunächst durch seine joviale Art den Gästen gegenüber sympathisch und interessant. Bald wird aber deutlich, wie er Konflikten ausweicht. Hinter seiner Sanftheit verbergen sich Ignoranz und sogar Tyrannei. Zu Beginn sind wir nur etwas irritiert, etwa, wenn ein Junge die Scheibe von Aydins Auto einwirft, weil sein Vater so hoch bei ihm verschuldet ist. Durch den gesamten Film wird sich nun aber die Entschuldigung des Jungen strecken - und wir reagieren zunehmend verstört. Er sei "unerträglich, selbstsüchtig, gemein und zynisch", wirft seine Frau ihm vor. Zunehmend wird Aydins Charakter vor uns entblösst. Das Zentrum des Films bilden zwei unerträglich lebensnahe Streitgespräche: Das eine mit der Frau, das andere mit der Schwester. Brennend diskutiert der Film über Philosophie und das eigene Gefühlsleben! Am Ende bleibt von Aydin nicht viel: Ein vermeintlicher Schöngeist, der alles, auch die sozialen Projekte seiner Gattin in den Schmutz zu zieht. Winter Sleep ist ein Drama, in dem unendlich viel geredet wird. Teilweise auch in äusserst langen Passagen am Stück! Aber auch die Kamerarbeit und der Schnitt wirken ausgenommen frisch, ja wachsam! Das hier ist ein Werk des Kinos (nicht des Theaters). Das, was zählt, sind vor allem die Sequenzen zwischen den Worten. Hier werden keine Allgemeinplätze über Gefühle und Dysfunktionen ausgetauscht. Die Anhäufung der Bilder wirkt wie eine merkwürdig leere Behaglichkeit, eine Ödnis - das wiederum erweckt Necias Anklage gegenüber ihrem Bruder zum Leben: Um nicht zu leiden, betrüge er sich permanent selbst. Nicht das, was die Charaktere sagen, prägt Winter Sleep. Es ist die Art und Weise wie es gezeigt wird: Jeder vermeintlich banale Umstand kann uns in eine trostlose finstere Nacht hinein werfen - bevor wir überhaupt merken, was eigentlich los ist! Verzweiflung, so elend, dass es keinen Ausweg gibt als sich die Verzweifelung selbst zum Begleiter zu wählen. Ein Paradox? Ein schmerzhaftes Paradox, das Ceylan und sein Team künstlerisch spürbar werden lassen. - Nuri Blige Ceylan is undoubtedly a world-class director, but he doesn't improve from film to film, as many claim. I think he was world class over ten years ago! Winter Sleep lasts over three hours and you might expect something over-ambitious - but, Winter Sleep really has it! Ceylan's most beautiful and clearest work so far! On the surface, Winter Sleep follows the typical European style house models with a male protagonist who is shown in different stages of isolation. Aydin (Haluk Bilginer), a former theatre director, now runs a hotel in Cappadocia, Anatolia with its bizarre rock formations rising from the barren landscape. The hotel also looks like a cave. The patriarch lives here with his much younger wife Nihal (Melisa Sözen) and his newly divorced sister Necla (Demet Akbag). He leaves the unpleasant tasks to his employees, while keeping himself in the background as an aging intellectual (although he controls everything). He devotes his time to columns and a book project about Turkish theatre. At first, Aydin's jovial nature makes him appealing and interesting to guests. Soon it becomes clear, however, how he avoids conflicts. Behind his gentleness are ignorance and even tyranny. At the beginning we are only a little irritated, for example, when a boy throws in the window of Aydin's car because his father is so heavily in debt to him. But now the boy's apology will stretch through the whole film - and we react increasingly disturbed. His wife accuses him of being "unbearable, selfish, mean and cynical. Increasingly Aydin's character is exposed before us. The centre of the film are two unbearably lifelike arguments: one with the woman, the other with the sister. The film is burningly discussing philosophy and one's own emotional life! In the end there is not much left of Aydin: A supposed aesthete who pulls everything, even his wife's social projects, into the dirt. Winter Sleep is a drama in which there is an infinite amount of talk. Partly also in extremely long passages in one piece! But also the camera work and the cut seem except fresh, even vigilant! This is a work of cinema (not theatre). What matters most are the sequences between the words. No commonplaces about feelings and dysfunctions are exchanged here. The accumulation of images seems like a strangely empty comfort, a wasteland - which in turn brings Necia's accusation against her brother to life: To avoid suffering, he would constantly betray himself. Not what the characters say characterizes Winter Sleep. It's the way it's shown: Any supposedly banal circumstance can throw us into a bleak, dark night - before we even realize what's going on! Despair, so miserable that there is no way out except to choose despair itself as your companion. A paradox? A painful paradox, which Ceylan and his team let become artistically noticeable.
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