Sa, 22/05/2021 - 10:38
Wer eine Neue Welle voraussetzt, muss davon ausgehen, dass es zuvor schon so etwas wie eine nationale Filmkultur gab. Die Protagonisten des neuen griechischen Kinos, Athina Rachel Tsangari, Giorgos Lanthimos oder Yannis Economides verfügen aber über keine Anknüpfungspunkte. Das Kino in Griechenland spielte in der Vergangenheit keine Rolle, nur wenige Einzelkämpfer wie Nikos Nikolaidis, Nikos Panayotopoulos oder Giorgos Panousopoulos (und... Theo Angelopoulos) konnten als Sonderlinge arbeiten. Dogtooth, Attenberg, Strella und Wasted youth zeigen aber blendend, wie das neue griechische Kino funktioniert. Die Filme an sich könnten unterschiedlicher kaum sein, haben aber die Weltöffentlichkeit nach dem Oscar für Dogtooth auf Griechenland gelenkt. Die Griechen sind die neuen Rumänen. Den Boden für das Filmwunder haben die Filmemacher, vor allem Tsangari (Attenberg) und Lanthimos (Dogtooth), selbst geschaffen. Sie sind der Gegenentwurf zu Komödien wie Kleine Verbrechen oder Kleine Wunder in Athen, die erfolgreich in den Programmkinos liefen. Das Aufregende an ihrem Kino sind die widrigen Umstände wie es entsteht, die Produktion ohne staatliche Förderung durch Autodidakten, die keine Filmschule von innen sahen, weil es gar keine gibt. Die neuen griechischen Filme werden in mühevoller Kleinarbeit mit Minimal Budgets gedreht und sehen trotzdem so stylisch aus wie die französische Nouvelle Vague. Vor zehn Jahren begann alles mit einem Urknall: Matchbox (2002) von Economides liess die angestaute Frustration in einer Familie als Brüllorgie eskalieren. Matchbox traf einen Ton, wie man ihn im griechischen symbolbeladenen Kino noch nie gehört hatte. Eine Provokation, die unter der grellen Oberfläche die soziale Angst der Mittelklasse vorwegnahm. Für Tsangaris war Matchbox wie ein Erweckungserlebnis. Das zweite Schlüsselerlebnis waren die Olympischen Spiele 2004, die man in die Hand von jungen Avantgarde Künstlern gab. Auf der Eröffnungsveranstaltung trafen sich auch Tsangari und Lanthimos. Lanthimos Debüt Kinetta wurde für 50.000 Euro realisiert, Qualität ohne den Staat. Die Solidarität unter den Filmemachern ist die treibende Kraft, man produziert sich gegenseitig und der eine spielt im Film der anderen mit. Homeland, Wasted youth und Attenberg sind solche Kooperationen. Ein grosses Vorbild ist From the edge of the city (1998) im Milieu der Kleinkriminellen und Prostituierten, der allen Vorstellungen widersprach, wie ein griechischer Film auszusehen habe. Hardcore (2004), ein psychodelischer Clip zweier minderjähriger Nutten, ist noch so ein früher Vorbote. Das aktuelle griechische Kino reagiert auf die gesellschaftlichen Grabenkämpfe seit der gewaltigen Demonstration 2008. Homeland zeigt eine dysfunktionale Familie, ähnlich wie Dogtooth und Matchbox, ist fragmentarisch erzählt und lässt einen etwas hilflos zurück. Tsangari dagegen folgt Mustern des Genre Kinos und verbeugt sich mit Attenberg ganz deutlich vor Godard und Truffaut. Economides letzter Film Knifer ist eine prächtige Hommage an den Film Noir. Alpen, der Nachfolger von Dogtooth ist wie eine Zäsur, an seinem Erfolg wird sich erweisen, wie es mit dem neuen griechischen Kino weitergeht. Economides macht sich darüber wenig Illusionen: „Mit jedem Film müssen wir das Kino praktisch neu erfinden“. Wenn das nicht die besten Aussichten sind? - Anyone who presumes a New Wave must assume that there has already been something like a national film culture before. But the protagonists of the new Greek cinema, Athina Rachel Tsangari, Giorgos Lanthimos or Yannis Economides, have no points of contact. Cinema in Greece played no role in the past, only a few lone fighters like Nikos Nikolaidis, Nikos Panayotopoulos or Giorgos Panousopoulos (and... Theo Angelopoulos) could work as eccentrics. Dogtooth, Attenberg, Strella and Wasted youth, however, show in a dazzling way how the new Greek cinema works. The films themselves could hardly be more different, but after the Oscar for Dogtooth, they have directed the world public to Greece. The Greeks are the new Romanians. The filmmakers, especially Tsangari (Attenberg) and Lanthimos (Dogtooth), have created the ground for the film miracle themselves. They are the alternative to comedies like Little Crimes or Little Wonders in Athens, which were successfully shown in cinemas. The exciting thing about their cinema is the adverse circumstances in which it arises, the production without state support by autodidacts who did not see a film school from the inside because there are none at all. The new Greek films are painstakingly shot with minimal budgets and still look as stylish as the French Nouvelle Vague. Ten years ago it all began with a big bang: Matchbox (2002) by Economides escalated the accumulated frustration in a family into a roar orgy. Matchbox hit a note never heard before in the Greek symbol-laden cinema. A provocation that, beneath the glaring surface, anticipated the social fear of the middle class. For Tsangaris, Matchbox was like a revival experience. The second key experience was the 2004 Olympic Games, which were given into the hands of young avant-garde artists. Tsangari and Lanthimos also met at the opening event. Lanthimos debut Kinetta was realized for 50.000 Euro, quality without the state. The solidarity among the filmmakers is the driving force, they produce each other and one plays in the film of the other. Homeland, Wasted youth and Attenberg are such cooperations. A great role model is From the edge of the city (1998) in the milieu of petty criminals and prostitutes, who contradicted all notions of what a Greek film should look like. Hardcore (2004), a psychedelic clip of two underage whores, is still such an early harbinger. The current Greek cinema reacts to the social trench warfare since the huge demonstration in 2008. Homeland shows a dysfunctional family, similar to Dogtooth and Matchbox, is told fragmentarily and leaves you somewhat helpless. Tsangari, on the other hand, follows patterns of the cinema genre and, with Attenberg, bows very clearly to Godard and Truffaut. Economide's last film Knifer is a splendid homage to the film Noir. Alpen, Dogtooth's successor, is like a caesura, his success will prove how things will continue with the new Greek cinema. Economides has few illusions about this: "With every film we have to practically reinvent cinema". What if those aren't the best prospects?
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Sa, 19/06/2021 - 15:44
The lobster ist ja mehr…
The lobster ist ja mehr irisch
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Sa, 12/06/2021 - 10:29
landscape in the mist
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Sa, 29/05/2021 - 15:57
bitte noch the lobster
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Mi, 26/05/2021 - 16:18
Klar, einfach den Titel…
Klar, einfach den Titel ansagen oder sogar die Nummer (steht unter Filme)
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Mi, 26/05/2021 - 16:16
Attenberg wollte ich mir…
Attenberg wollte ich mir später bei euch holen. Geht das ohne Test?
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So, 23/05/2021 - 13:57
dogtooth ist ein großartiger…
dogtooth ist ein großartiger experimentalfilm, der auch manchmal auf youtube läuft über netzkino
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