Di, 02/03/2021 - 13:55
„Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen“, wurde 1962 auf blauer Pappe während des Filmfestivals in Oberhausen verlesen. Papas Kino ist tot gilt als Stunde Null des deutschen Films. Ein Paukenschlag, obwohl die Rebellen des Oberhausener Manifests bis dahin fast nichts vorzuweisen hatten. Nur drei waren dabei, die schon längere Filme gedreht hatten. Hansjürgen Pohland hatte 1961 Toby inszeniert, Ferdinand Khittl arbeitete an Die Parallelstrasse und Herbert Vesely an Das Brot der frühen Jahre. Dennoch, 26 Filmemacher versuchten das, was in Italien nach dem Krieg passiert war und in Frankreich wenige Jahre zuvor. Genau wie die Franzosen wollten auch die jungen Deutschen weg vom Qualitätskino eines Helmut Käutner. Es ging nicht um grosse sorgfältige Filme, sondern kleine persönliche Fantasien, um Brüche, Fehler, Abwegiges und Unklares. Als die ersten Spielfilme ins Kino kamen, drehten einige von ihnen jedoch vom Start weg schlechte und behäbige Filme, die bald im TV landeten. Andere hatten Potential: Volker Schlöndorff war stark von Themen geprägt wie später Reinhard Hauff, Peter Lilienthal, Michael Verhoeven und Margarethe von Trotta. Dann waren da diejenigen, welche Bilder und Formen reflektierten wie Alexander Kluge und Edgar Reitz – Stets auf Distanz bedacht, um das Zeichenhafte ihrer Bilder zu betonen. Ihnen folgten Ulrike Oettinger, Helke Sander, Werner Schroeter und Hans Jürgen Syberberg. Dann gab es die mit grosser Euphorie für pure Kinoformen, die sich an Vorbildern und Genres orientierten: Roland Klick, Klaus Lemke, Rudolf Thome und Will Tremper. Vertieft wurden diese Anfänge in den 70ern durch die Stars des Neuen Deutschen Films: Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog und Wim Wenders. Heute lassen sich über die einzelnen Filme hinaus Themen und Motive erkennen, die variiert wurden. Wie auch im Neo Realismus und in der Nouvelle Vague gab es erste Vorläufer (Das Brot der frühe Jahre, Zwei unter Millionen), die ersten Filme nach dem Manifest (Der junge Törless, Tätowierung, Abschied von gestern), die Höhepunkte (Bierkampf, Hitler, Die Ehe der Maria Braun, David, Palermo oder Wolfsburg, Frank Orlando, Fitzcarraldo, Der Stand der Dinge) und schliesslich Ermüdungserscheinungen. Alle einte der Versuch, mit ganz anderen Bildern zu operieren, einen neuen Blick freizumachen auf ungewöhnliche Figuren in einer gewöhnlichen Welt. Grossen Anteil daran hatten auch die neuen Kameramänner für die Entdeckungen eines Werners Herzog oder die Künstlichkeit eines Werner Schroeter. Jost Vacano für Klick oder Schlöndorff, Jörg Schmidt-Reitwein für Herzog und Gerard Vandeberg für Lilienthal und Schamoni, zuletzt die Stars Michael Ballhaus für Fassbinder und Robby Müller für Wenders. Ballhaus verpasste Fassbinders Kino eine neue Opulenz und Müller revolutionierte mit Wenders das Genre des Road Movies. Ein Verdienst aller Filmemacher nach Oberhausen war der Wille, sich mit der Vergangenheit zu befassen. Endlich wurde sich mit dem Nationalsozialismus auseinander gesetzt, etwa in Straub/Huillets Nicht versöhnt (1964). Die Ehre der Maria Braun, Deutschland im Herbst und Deutschland bleiche Mutter sind alle auch Auseinandersetzungen mit der Nazizeit. Das zweite grosse Thema war der Kampf um Identität, ohne auf Vater und Mutter zurückzugreifen. In Schamonis Schonzeit für Füchse schwenkt ein Journalist zwischen der gross- und kleinbürgerlichen Welt und entscheidet sich letztlich dafür, sich nicht zu entscheiden. In Wenders Alice in den Städten, Im Lauf der Zeit und Paris Texas wird das Unterwegs Sein zum Raum für Selbstfindung.
Ein weiteres Thema war die Frau in der westdeutschen Gesellschaft. Helke Sander-Brahms (Shirins Hochzeit) und Margarethe von Trotta (Das zweite Erwachen der Christa Klages) charakterisieren ihre Figuren kunstvoll und spannend, Rudolf Thome in Rote Sonne geht das Thema radikal an: Eine Frauen WG, die jeden Mann nach drei Tagen umbringt. Seit der Nouvelle Vague waren Genres nicht mehr festgefügt, um immer dasselbe neu zu erzählen, sondern Spielplatz und Reservoir für Neues. Der Neue Deutsche Film nahm diese Haltung im Heimatfilm schnell an: Peter Fleischmanns Jagdszenen aus Niederbayern, Reinhard Hauffs Mathias Kneisel, Volker Vogelers Jaider, Der einsame Jäger oder Uwe Brandners Ich liebe dich, ich töte dich stellen das Genre auf den Kopf. Sie verklären das Heimische nicht, sondern klären auf. Besondere Akzente setzte das Thema Coming of age. Anders als in New Hollywood waren es meist Filme des Scheiterns. Schaafs Tätowierung, Klicks Supermarkt und Hark Bohms Nordsee ist Mordsee zeigen, dass Glück nur anderswo existiert. Das politische Kino von Peter Lilienthal stellte eine wichtige Fussnote dar: Malatesta und Es herrscht Ruhe im Land spitzen das Skandalöse nicht durch ihre Story zu, sondern machen es transparent. Fassbinder, Schroeter und van Ackeren legten auch einzelne Melodramen vor, Romanzen gab es sehr vereinzelt (Thomes Berlin Chamissoplatz), sogar Krimis (Lemkes Negresco, Vadim Glownas Desperado city) und Komödien (May Spils Zur Sache Schätzchen, Bernhard Sinkels Lina Braake, Edgar Reitz Die Reise nach Wien).
Wichtiger aber waren Road Movies, das Genre des Aufbruchs: Kluges Abschied von gestern, Lemkes 48 Stunden bis Acapulco, Roald Kollers Johnny West mit Rio Reiser und eben die Filme von Wim Wenders in denen Landschaften mythisch überhöht werden. Anders als die Nouvelle Vague spürte der Neue Deutsche Film nicht die grosse Lust daran, das Kino durch Genres zu erweitern, wohl aber hatten auch die Deutschen Freude, neue Facetten zu entdecken. Der Neue Deutsche Film liebte Aussenseiter und Sonderlinge; Rebellen, Bohemians und Kauze wie Herzogs Kinski. In Thomes Rote Sonne gibt es ein wirres Duell am Starnberger See. In Fassbinders Händler der vier Jahreszeiten wird sich zu Tode gesoffen und in Wenders Paris Texas ziellos durch die Wüste gewandert. Die Rebellen von Lemke und Klick hetzten durch die Welt und nehmen einen Schlag nach dem anderen auf (Rocker und Supermarkt). Der Höhepunkt des Neuen Deutschen Films kam Anfang der 80er. Fassbinders BRD Trilogie, Schlöndorffs Die Blechtrommel, Herzogs Fitzcarraldo und Wenders Paris Texas wurden gefeiert. Mit dem Tod Fassbinders, der geistig moralischen Wende Kohls erodierte die Bewegung. In den 80ern/90ern kam die späte Rache des „normalen“ Films: Er sah wieder aus wie das bundesdeutsche Kino der 50er Jahre. -
"The old film is dead. We believe in the new," was read out on blue cardboard during the film festival in Oberhausen in 1962. Papa's Cinema is Dead is considered the zero hour of German film. A drumbeat, although the rebels of the Oberhausen Manifesto had almost nothing to show up to that point. There were only three of them who had already made longer films. Hansjürgen Pohland had directed Toby in 1961, Ferdinand Khittl was working on Die Parallelstrasse and Herbert Vesely on Das Brot der frühen Jahre. Still, 26 filmmakers tried to do what had happened in Italy after the war and in France a few years earlier. Just like the French, the young Germans wanted to get away from the quality cinema of a Helmut Käutner. It was not about big careful films, but about small personal fantasies, about breaks, mistakes, deviations and ambiguities. When the first feature films were released, however, some of them made poor and ponderous films right from the start, which soon ended up on TV. Others had potential: Volker Schlöndorff was strongly influenced by themes, as were later Reinhard Hauff, Peter Lilienthal, Michael Verhoeven and Margarethe von Trotta. Then there were those who reflected on images and forms, such as Alexander Kluge and Edgar Reitz - always careful to keep their distance in order to emphasize the symbolic nature of their images. They were followed by Ulrike Oettinger, Helke Sander, Werner Schroeter and Hans Jürgen Syberberg. Then there were those with a great euphoria for pure forms of cinema, oriented to models and genres: Roland Klick, Klaus Lemke, Rudolf Thome and Will Tremper. These beginnings were deepened in the 70s by the stars of the New German Cinema: Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog and Wim Wenders. Today, themes and motifs that have been varied can be discerned beyond the individual films. As in Neo Realism and the Nouvelle Vague, there were first precursors (The Bread of Early Years, Two Among Millions), the first films after the Manifesto (Young Törless, Tattoo, Farewell to Yesterday), the high points (Beer Fight, Hitler, The Marriage of Maria Braun, David, Palermo or Wolfsburg, Frank Orlando, Fitzcarraldo, The State of Things) and finally fatigue. All of them were united by the attempt to operate with completely different images, to open up a new view of unusual figures in an ordinary world. The new cameramen for the discoveries of a Werner Herzog or the artificiality of a Werner Schroeter also played a large part in this. Jost Vacano for Klick or Schlöndorff, Jörg Schmidt-Reitwein for Herzog and Gerard Vandeberg for Lilienthal and Schamoni, most recently the stars Michael Ballhaus for Fassbinder and Robby Müller for Wenders. Ballhaus gave Fassbinder's cinema a new opulence and Müller revolutionized the genre of road movies with Wenders. One merit of all filmmakers after Oberhausen was the will to deal with the past. National Socialism was finally dealt with, for example in Straub/Huillet's Nicht versöhnt (1964). Die Ehre der Maria Braun (The Honor of Maria Braun), Deutschland im Herbst (Germany in Autumn), and Deutschland bleiche Mutter (Germany's Pale Mother) are all also confrontations with the Nazi era. The second major theme was the struggle for identity without recourse to father and mother. In Shamoni's Closed Season for Foxes, a journalist swings between the upper- and lower-middle-class worlds and ultimately chooses not to. In Wenders' Alice in the Cities, In the Course of Time, and Paris Texas, being on the road becomes a space for self-discovery. Another theme was women in West German society. Helke Sander-Brahms (Shirin's Wedding) and Margarethe von Trotta (The Second Awakening of Christa Klages) characterize their figures artfully and excitingly, Rudolf Thome in Red Sun takes a radical approach to the subject: A women's shared apartment that kills every man after three days. Since the Nouvelle Vague, genres were no longer fixed in order to always retell the same thing, but were playgrounds and reservoirs for new things. The New German Cinema quickly adopted this attitude in Heimatfilm: Peter Fleischmann's Jagdszenen aus Niederbayern, Reinhard Hauff's Mathias Kneisel, Volker Vogeler's Jaider, Der einsame Jäger or Uwe Brandner's Ich liebe dich, ich töte dich turn the genre on its head. They do not transfigure the homely, but enlighten it. The theme of coming of age set special accents. Unlike New Hollywood, these were mostly films of failure. Schaaf's Tattoo, Click's Supermarket and Hark Bohm's Nordsee ist Mordsee show that happiness only exists elsewhere. The political cinema of Peter Lilienthal represented an important footnote: Malatesta and Es herrscht Ruhe im Land do not sharpen the scandalous through their story, but make it transparent. Fassbinder, Schroeter and van Ackeren also presented individual melodramas, there were very isolated romances (Thome's Berlin Chamissoplatz), even thrillers (Lemke's Negresco, Vadim Glowna's Desperado city) and comedies (May Spil's Zur Sache Schätzchen, Bernhard Sinkel's Lina Braake, Edgar Reitz's Die Reise nach Wien). More important, however, were road movies, the genre of departure: Kluge's Farewell to Yesterday, Lemke's 48 Hours to Acapulco, Roald Koller's Johnny West with Rio Reiser, and the films of Wim Wenders in which landscapes are mythically exaggerated. Unlike the Nouvelle Vague, the New German Cinema did not feel the great desire to expand cinema through genres, but the Germans did enjoy discovering new facets. The New German Cinema loved outsiders and eccentrics; rebels, bohemians and oddballs like Herzog's Kinski. In Thome's Rote Sonne there is a confused duel at Lake Starnberg. In Fassbinder's Merchants of the Four Seasons, people drink themselves to death, and in Wender's Paris Texas, they wander aimlessly through the desert. Lemke and Klick's Rebels rushed through the world, taking one hit after another (Rocker and Supermarket). The high point of New German Cinema came in the early '80s. Fassbinder's BRD trilogy, Schlöndorff's Die Blechtrommel, Herzog's Fitzcarraldo and Wender's Paris Texas were celebrated. With Fassbinder's death, Kohl's intellectual moral turn, the movement eroded. In the 80s/90s came the late revenge of "normal" film: it looked again like the West German cinema of the 50s. (deepl.com)
Filme in der Liste
Kommentare
Eure letzten Kommentare

Sa, 06/03/2021 - 12:54
please, we should stick to…
please, we should stick to the topic of films
- Anmelden oder Registieren, um Kommentare verfassen zu können

Fr, 05/03/2021 - 15:39
Aber Werner Herzog schon
Aber Werner Herzog schon
- Anmelden oder Registieren, um Kommentare verfassen zu können

Fr, 05/03/2021 - 15:38
An sich sollte man ja Klaus…
An sich sollte man ja Klaus Kinski nicht mehr so hervorheben, oder?
- Anmelden oder Registieren, um Kommentare verfassen zu können

Mi, 03/03/2021 - 16:28
Marianne and Juliane ist so…
Marianne and Juliane ist so gross!
- Anmelden oder Registieren, um Kommentare verfassen zu können
Werde Teil der Community
Schreibe Kommentare, vote für Deine Favoriten oder sende uns Deinen Film-Vorschlag.