In einem seiner schwächeren Versuche erzählt der ungarische Regisseur Bela Tarr eine Anekdote über Friedrich Nietzsche. Der beobachtet 1889 in Turin einen Kutscher, der sein Pferd quält. Tarr hat daraus einen trostlosen und bitteren Film gemacht aus verzweifelter Melancholie und seinen charakteristischen langen Einstellungen. Wer die flotten Schnitte Hollywoods gewohnt ist, der muss The Turin Horse als Schock wahrnehmen. Die Handlung ist schnell zusammen gefasst: Es passiert nichts. Treffender wäre es, die Bedeutung des Werks versuchen, zu beschreiben: Es geht um das Ende aller Tage, das Ende der Zeit. Der Kutscher, der auf sein Pferd einschlägt, sorgt dafür, dass Nietzsche zusammenbricht. Nie wieder wird er sich erholen. Nietzsches Verfall dauert an bis zu seinem Tod 1900. Tarrs Film stellt sich nun vor, was mit dem Pferd geschieht, dass Nietzsches Kollaps auslöst. Wie es von dem Bauern mit seiner versteinerten Miene zurückgeführt wird auf den Bauernhof irgendwo in der Nähe Turins (das bei Tarr überhaupt nicht italienisch wirkt, sondern wie ein Europa kurz vor der Apokalypse). Unterlegt wird das mit der unheilvollen Musik von Tarrs langjährigem Komponisten Mihaly Vig. Während das Pferd sich weigert, zu arbeiten, zu essen oder zu trinken, beginnt der Weltuntergang. Sind wir womöglich Zeugen von Gottes Tod? Und das Pferd? Ist es gar eine Transformation von Nietzsche selbst, der die letzten Tage der Menschheit beobachtet? Überhaupt glaube ich den Philosophen nun auch in anderen Figuren wieder zu erkennen... Die Welt jedenfalls gleitet ab in ewige Finsternis, das jedenfalls ist sicher. -
In one of his weaker attempts, Hungarian director Bela Tarr tells an anecdote about Friedrich Nietzsche. In 1889 he observes a coachman in Turin torturing his horse. Tarr has turned it into a bleak and bitter film of desperate melancholy and his characteristic long shots. Those who are used to Hollywood's fast cuts must perceive The Turin Horse as a shock. The plot is quickly summarized: Nothing happens. It would be more fitting to try to describe the meaning of the work: It is about the end of all days, the end of time. The coachman who hits his horse makes Nietzsche collapse. He will never recover again. Nietzsche's decay continues until his death in 1900. Tarr's film now imagines what happens to the horse that causes Nietzsche's collapse. How it is traced back from the farmer with his petrified face to the farm somewhere near Turin (which doesn't seem Italian at all with Tarr, but like a Europe shortly before the Apocalypse). This is underpinned by the ominous music of Tarr's long-time composer Mihaly Vig. While the horse refuses to work, eat or drink, the end of the world begins. Are we possibly witnesses of God's death? And the horse? Is it even a transformation of Nietzsche himself who observes the last days of mankind? In general, I now believe I can recognize the philosopher in other figures as well... In any case, the world slides into eternal darkness, that is for sure.
Kommentare
Eure letzten KommentareNach einer filmischen
Nach einer filmischen Zwangsabstinenz bedingt durch einen Krankenhausaufenthalt ob eines gebrochenen Schlüsselbeins, der bewusst von mir zuerst gewählte und selbst verordnete Film um in Schwermut zu waten und auch zu schwelgen, da ich ahnte Menschen zu sehen in Anbetracht von deren Schicksal mein eigenes als kleiner einzustufen wäre…
Wie recht sollte ich, ins Auge der Apokalypse blickend, doch behalten…
Und es wurde auch zu einem „Schlüsselerlebnis“… nicht auch zuletzt aufgrund des Details des nur einarmig agierenden Mannes…
Ich sah die vermeintliche Schöpfungsgeschichte rückwärts gewandt, Menschen ins „Paradies“ vertrieben, sich nur von Erdäpfeln und Schnaps ernährend, und das in einer Kargheit und zehrenden Reduktion, auf das es mich in den „TV-Thron“ drückte und mental arg zwickte, und es mir nur bleibt Nietzsche zu zitieren:
„Gott ist tot“…
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Was Tarr zeigt, ist immerhin
Was Tarr zeigt, ist immerhin ganz simpel - der Gipfel ist ja das mehrfach mehrere Minuten lang ausgebreitete Kartoffelessritual eines Bauern und seiner Tochter. Es ist trivial, es ist anstrengend, es ist länger als es möglicherweise sein müsste, gewiss. Aber in all der Stille, in diesen Momenten der eingespielten Routine, die in Form einer pervertierten, umgedrehten Genesis langsam aber sicher außer Kraft gesetzt wird, liegen massenhaft Gelegenheiten zum Hinterfragen, zum Begreifen, meinetwegen dazu, diese schönen Bilder auch ganz einfach auf sich wirken zu lassen, und wenn dieses Uhrwerk der beiden Protagonisten dann einmal gestört wird, sei es durch einen Nachbarn, der sich als Weltuntergangsprophet herausstellt, sei es durch umherstreunende Sinti bzw. Roma, die sogleich wieder verjagt werden, so kann es leicht sein, dass bloß dahergesagte Worte, kleine Gesten, unwichtigste Geschehnisse große Gravität verliehen bekommen.
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a weak bela tarr is still…
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