Letztens waren ein paar Filmemacher bei uns im Laden, die keine Kabel und Beleuchtungsmittel verteilten, sondern einzig eine Digitalkamera mit sich führten. Die Schauspieler waren nett und offen, ganz anders als ich das normalerweise erlebt hatte. Der Regisseur trug Haare im Gesicht und sein Filmwissen war so beeindruckend, dass wir ihn am liebsten gleich eingestellt hätten als Videothekar. Gedreht wurde ein sogenannter Berliner Mumblecore. Vorbild: New Yorker Mumblecore. Wieso diese Filme so heissen? Wer Love Steaks ansieht, merkts sofort: Dank des direkten Tons "mumblen" die Schauspieler oft ziemlich undeutlich. Berliner Mumblecore beruht auf dem FOGMA Manifest, dass Regisseur Jakob Lass (seines Zeichens ehemaliger Studierender der Film Arche) mit Freunden entwarf. FOGMA bedeutet: "Die starke Narration eines Drehbuchfilms,die Frische und Spielfreude eines Improfilms und die authentische Absurdität eines Dokumentarfilms" (Lass). Regeln, die aber keine Vorschriften machen. Wie sieht das konkret aus? Das Bild in Love Steaks wirkt etwas verschwommen, leicht wackelig, die Kamera befindet sich unten rechts in der Ecke. die ersten Dialoge klingen so, als ob sie nicht von "Schauspielern" gesprochen worden sind. Wir befinden uns in einem Hotel an der See und dort tritt ein Masseur seine neue Stelle an. Lass hat die Handlung seines Liebesfilms sogar selbst zusammen gefasst: "Ein Masseur. Eine Köchin. Ein junges Paar auf’s Maul." Clemens, der Massuer und Lara, die Köchin. Wer sich mal die Mühe macht, eine ganz normale "Romantic Comedy" anzusehen, wird feststellen, dass die Figuren in solchen Filmen die Sprache der Liebe beherrschen. Anders als im echten Leben, besitzen sie die Gabe, im rechten Moment, ihre Gefühle auszudrücken. In Love Steaks ist das nicht so: In einem Lagerraum wird kräftig gevögelt ohne Liebesschwur. Werden Lara und Clemens auch noch in zwei Monaten zusammen sein? Ich denke, die Frage ist in so einem gegenwärtigen Film wie Love Steaks falsch gestellt! Alles in Love Steaks wirkt vertraut und ganz unaufgeregt. Am besten gelungen sind die Szenen, in denen sich Lara mit den Köchen besäuft (die Frage sei als Kompliment erlaubt: Waren die wirklich betrunken?). Ist FOGMA nun die Berliner Nouvelle Vague? Hoffentlich! Wird auch künftig ohne Staatskohle produziert? Bitte! Wirkt auch in Zukunft kein deutscher "Star" mit, sondern echte Menschen? Das wäre toll!
Dazu gibts die Rezension unseres ehemaligen Kollegen Thomas Groh, der jetzt als Journalist arbeitet: Auch eine Art, eine Romanze zu beginnen: „Boah, du schwitzt. Riecht man. Ist aber nicht schlimm.“ Die das im Fahrstuhl zu ihrem Gegenüber sagt, ist Lara (Lana Cooper), Köchin in einem Wellness-Hotel an der Ostseeküste, mitten im Nirgendwo – und Lara ist taff, aufbrausend, sie säuft gern.
Wenn Lara mit ihrem Wagen auf den Straßen im Umland die Aufmerksamkeit zugeknöpfter Polizisten auf sich zieht, hört sie dabei krachig-dreckigen Punk. Er wiederum, der so schwitzt, ist Clemens (Franz Rogowski), ein neuer Masseur im Hotel und so unsicher im Auftritt wie tollpatschig im Gebaren.
Untergebracht hat man Clemens in einer Wäschekammer in den oberen Etagen des Betriebs. Morgens holen ihn die Putzfrauen mit einem „Guten Morgen!“ aus den Federn, und wenn beide hier am Abend miteinander rummachen, zieht das den Unmut der Gäste aus dem gegenüberliegenden Flügel auf sich, die mangels Vorhänge unfreiwillige Zeugen des schönen Spaßes werden.
Ungleiche Partner also in einer Boy-meets-Girl- oder gleich Girl-gets-herself-a-Boy-Geschichte und damit beste Voraussetzungen für eine Liebesgeschichte am Strand, bei der es am Ende mitunter auch derbe was auf die Backen gibt. Das ist, in a nutshell, „Love Steaks“, der großartige Debütfilm von Jakob Lass, und ihm geht ein enormer Ruf voraus: Kaum eine zweite deutsche Produktion hat zuletzt auf so vielen Festivals abgeräumt und Preise eingefahren.
Und das sehr zu Recht, denn diesem Film sind die Bräsigkeiten des deutschen Bescheidenheits- und Konsensfilmemachens gehörig ausgetrieben: Schön flink, geradezu lebensbejahend ekstatisch saust die Kamera (Timon Schäppi) durch die Bedienstetenwelt hinter den Kulissen eines tristen, betäubend auf Wohlgefühl getrimmten Hotels. Der Schnitt (Gesa Jäger) stückelt den Film hektisch und roh, mitunter auch unter unbekümmerter Missachtung dessen, was das Lehrbuch rät. Dann ist da noch der Ton: Aufregend anders, dreckig klingt dieser Film – eine Wohltat nach den sterilen Klangwelten des deutschen Förderkinos, der wahrgewordene Albtraum jedes Fernsehredakteurs. Die Leute nuscheln, wie Leute eben nuscheln. Es scheppert, klirrt und zischt, wie es in einem Betrieb eben scheppert, klirrt und zischt. Immer wieder durchfahren harte Sounds das Geschehen. Wenn Clemens seufzenden älteren Damen den Rücken massiert, ist es dem Film noch eine ganz besondere Freude, sich auf der Tonspur von miesem New-Age-Klangschrott verunreinigen zu lassen.
Schön, ja toll, was dieser Film sich traut. Er beweist in seinen Episoden und Vignetten erfrischenden Mut zum Humor: Mal ist er ganz lakonisch, trocken, ohne sich gemütlicher Skurrilität oder einlullender Beschaulichkeit zu beugen. Dann wieder ist er voll auf Slapstick gebürstet oder prüft die unterschiedlichen Weisen des Sprechens – etwa, wenn ein Manager Lara und Clemens tadelnd zurechtweist, dass die Hinterräume des Betriebs zu romantischen Tändeleien während der Arbeitszeit nicht zu missbrauchen sind – auf komisches Potenzial.
Burlesk anarchisch wird es schließlich, wenn Lara ihrem Clemens in den Tiefkühlräumen allerlei kaltes Fleisch in den Schritt hängt, weil sie seinen vor Frost eingefahrenen Minischwanz sehen will. Überhaupt, die beiden Hauptdarsteller: Selten hat man zuletzt im deutschen Kino zwei junge Darsteller mit derart ausgeprägter Freude am Spiel gesehen. Auch das, wie alles andere: ein tolles, schönes Kinoglück.
Von weit weg weht da der Geist der klassischen Komödien von Klaus Lemke herüber, man denkt kurz an „Sylvie“ oder „Amore“, mit denen „Love Steaks“ zumindest entfernt verwandt ist. Und das nicht zuletzt wegen vergleichbarer Produktionsbedingungen: „Love Steaks“ liegen Skizzen, aber kein festes Drehbuch zugrunde, einige Szenen entstanden aus dem Moment heraus. Gedreht und improvisiert wurde während des laufenden Hotelbetriebs unter Bedingungen, die notgedrungen erfinderisch machen.
Schon mit diesem Konzept steht man außerhalb der rigiden Vorgaben des hiesigen Fördersystems: Dem Film tut das in jeder Hinsicht gut. „Love Steaks“ atmet weder den Geist von Kultur mit großem K noch den des im deutschen Kino so nervigen Professionalismus-Gehampels von Berufszynikern. Stattdessen drehen hier Leute mit ordentlich Heißhunger ihren ersten großen Film – mit nichts als reiner Hingabe. Das macht zwar nicht reich und Sicherheiten schafft es auch nicht. Aber es macht sehr, sehr frei. (Quelle: https://filmtagebuch.blogger.de/stories/2473653/) - Recently there were some filmmakers in our shop who didn't distribute cables and lighting equipment, only carried a digital camera with them. The actors were nice and open, very different from what I normally experienced. The director wore hair on his face and his film knowledge was so impressive that we would have liked to have hired him as a video librarian right away. A so-called Berlin Mumblecore was shot. Prototype: New York Mumblecore. Why are these movies called that? When you look at Love Steaks, you immediately notice: Thanks to the direct sound, the actors often "mumble" rather indistinctly. Berlin's Mumblecore is based on the FOGMA manifesto that director Jakob Lass (former student of the film Arche) designed with friends. FOGMA means: "The strong narration of a screenplay film, the freshness and joy of an improvised film and the authentic absurdity of a documentary" (Lass). Rules that don't lay down the law. What exactly does that look like? The picture in Love Steaks looks a bit blurry, slightly shaky, the camera is in the lower right corner. the first dialogues sound as if they weren't spoken of by "actors". We are in a hotel by the sea and there a masseur takes up his new position. Lass even summarized the plot of his love story himself: "A masseur. A cook. A young couple in the mouth." Clemens the massuer and Lara the cook. Anyone who takes the trouble to watch a normal "romantic comedy" will notice that the characters in such films master the language of love. Unlike in real life, they have the gift of expressing their feelings at the right moment. It's not like that in Love Steaks: In a storage room is fucked vigorously without love vow. Will Lara and Clemens still be together in two months? I think the question is wrong in a current movie like Love Steaks! Everything in Love Steaks seems familiar and unagitated. The scenes in which Lara gets drunk with the cooks are the best (the question is allowed as a compliment: Were they really drunk?). Is FOGMA now the Berlin Nouvelle Vague? Hopefully! Will production continue without state coal in the future? Please! Will there be no German "star" in the future, but real people? That would be great!
There is a review by our former colleague Thomas Groh, who now works as a journalist: Also a way to start a romance: "Wow, you're sweating. You can smell it. It's no big deal." Lara (Lana Cooper), cook in a wellness hotel on the Baltic coast, is in the middle of nowhere - and Lara is tough, fizzy, she likes to drink.
When Lara draws the attention of buttoned up policemen on the streets in the surrounding area, she hears noisily dirty punk. He, in turn, who sweats so much, is Clemens (Franz Rogowski), a new masseur in the hotel and as insecure in his appearance as he is clumsy in his behaviour.
Clemens was accommodated in a laundry room on the upper floors of the company. In the mornings, the cleaners ruffle him up with a "good morning", and when they make out in the evening, it draws the displeasure of the guests from the opposite wing, who for lack of curtains become involuntary witnesses of the beautiful fun.
Different partners in a Boy-meets-Girl- or Girl-gets-herself-a-Boy-story and thus the best conditions for a love story on the beach, in which there is sometimes something on the cheeks at the end. This is, in a nutshell, "Love Steaks", Jakob Lass' great debut film, and it has an enormous reputation: hardly any other German production has won prizes at so many festivals recently.
And rightly so, because this film is an exorcism of the customs of German modesty and consensus filmmaking: the camera (Timon Schäppi) roars through the world of servants behind the scenes of a dreary, numbing hotel trimmed for well-being in a beautifully nimble, almost life-affirming ecstatic way. The editing (Gesa Jäger) fragments the film hectically and rawly, sometimes with careless disregard for what the textbook advises. Then there is the sound: Excitingly different, dirty sounds this film - a blessing after the sterile sound worlds of German promotional cinema, the nightmare come true of every television editor. People mumble, like people just mumble. It rattles, clashes and hisses as it just rattles, clashes and hisses in a company. Again and again hard sounds drive through the events. When Clemens massages the backs of sighing older ladies, it is still a very special pleasure for the film to let itself be contaminated on the soundtrack by lousy New Age sound junk.
Well, yeah, great what this movie dares to do. He proves in his E
Kommentare
Eure letzten KommentareÜber ein Jahr ist es jetzt
Über ein Jahr ist es jetzt schon her, dass ich den Film - auf einem Festival - gesehen habe, da wird es auch langsam mal Zeit, dass ich was über ihn schreibe.
"Love Steaks" ist ein interessantes filmisches Experiment. Erzählt wird hier im Grunde keine sonderlich originelle Liebesgeschichte zwischen zwei gegensätzlichen Charakteren. Was den Film aber so besonders macht, ist seine Machart. Abgesehen von den beiden jungen Hauptdarstellern sind praktisch alle Akteure Laien. Tatsächlich wurden hier echte Mitarbeiter eines Hotels praktisch bei ihrer Arbeit gefilmt und ein Großteil der Szenen vor der Kamera improvisiert. Und ob man es glaubt oder nicht - das funktioniert!
Man nimmt den Leuten alles ab, was sie sagen oder machen; es kommt sogar wesentlich authentischer rüber als bei gewöhnlichen Spielfilmen mit vergleichbarer Handlung. Die eher sparsam eingesetzte Musik und nicht allzu ausgefallene Kameraarbeit verleihen dem Ganzen schon fast einen dokumentarischen Charakter.
So ganz neu ist das hier zwar letztlich nicht - im Grunde zählt "Love Steaks" zu den Werken im Mumblecore-Filmstil, die es in den USA schon seit längerer Zeit gibt - aber für deutsches Kino ist das hier echt was Ungewöhnliches.
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Ein runder Film, der ohne
Ein runder Film, der ohne Schauspieler und Budget bestens funktioniert und sogar ein neues filmisches Konzept vorstellt, dass ja wohl besser funktioniert als die leidige Berliner Schule. Hut ab, denn diese Komödie ist nicht nur für 10 Filmwissenschaftler geeignet!
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